Rechtsextremismus in Europa: Enthüllung einer bislang verborgenen Realität?

Wir leben in unruhigen Zeiten. Auf die Corona-Pandemie folgte der Krieg in der Ukraine, der immer noch tobt, ohne dass ein Ende in Sicht ist. Und als sei all dies noch nicht genug, haben wir nun auch noch einen sich ausweitenden Konflikt im Nahen Osten. Dazu gesellen sich die spürbarer werdende Klimakrise und die Flüchtlingskrise.

Haben diese Krisen bei den Menschen in Europa nur zu einem verstärkten Bedürfnis nach Sicherheit geführt, oder erleben wir in diesen Tagen noch etwas anderes, einen bislang verborgenen Hass und eine Feindseligkeit gegenüber allem Andersartigen, oder, zugespitzt formuliert, die Angst vor der Freiheit an sich?

Die Partei für die Freiheit in den Niederlanden, die Postfaschistin Giorgia Meloni und ihre Partei Fratelli d’Italia in Italien, Viktor Orbán und seine rechtspopulistische Partei Fidesz. Afd in Deutschland. Die Liste ließe sich beliebig erweitern.

Die Popularität rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien in den europäischen Ländern steigt wie nie zuvor in diesem Jahrzehnt, und es stellt sich die Frage, warum sich ein solcher Trend in unsicheren Zeiten offenbart.

Diese Parteien bedienen sich einer Rhetorik, mit der sich große Teile der Bevölkerung identifizieren. 

Natürlich wissen die Parteimitglieder, dass es so ist: Sie wissen, dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung gewachsen ist, dass diese Unzufriedenheit im Laufe der Zeit zu einer wachsenden Spaltung geführt hat, einer Spaltung, die ihren Zielen dient und die sie gezielt befördern. Sie nisten sich in dieser Spaltung ein und machen sich breit, mit Desinformation und populistischen Forderungen.Sie nisten sich in der Unsicherheit ein.

Um konkret zu verstehen, worüber wir reden, müssen wir uns zuerst dem populistischen Sprechen zuwenden. Ekkehard Felder, Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Heidelberg, in einem Interview mit der Zeit sagte 2018: “das Populistisches Sprechen schürt Angst, grenzt aus und homogenisiert die Vielfalt der Interessen und Ideen. Es erweckt den Eindruck, dass es eine Lösung gebe und damit auch „alles gesagt“ sei. Wenn sich die AfD etwa auf den Willen des Volkes oder den gesunden Menschenverstand beruft, behauptet sie damit, dass man nicht mehr weiter diskutieren muss und beendet damit das Gespräch.”

Mit anderen Worten, suggeriert diese Rhetorik den Menschen das, was sie hören wollen:: dass es einfache Lösungen für komplexe Probleme gebe, dass die Ideen in der Gesellschaft homogen seien, dass die Ursachen der Probleme und die Schuld an der Krise bei den “anderen” lägen und niemals bei uns selbst. Damit wird der wichtigste Teil der Demokratie selbst abgeschafft: die Verantwortung des Einzelnen. Und damit sind wir beim Begriff der Freiheit angelangt, denn Verantwortung zu tragen gehört zum Freisein. 

Dazu kommt ein falscher Blick auf das Geschehen selbst:  Wir betrachten politische Bewegungen oft als etwas, was wir aktiv gestalten und vorantreiben. In Wirklichkeit aber lassen wir uns manipulieren, weil wir uns nur allzu gern autoritären Figuren unterwerfen, um der Freiheit des Entscheidens und Verstehens zu entfliehen. Die Grundlage all dessen ist wahrscheinlich das, was Erich Fromm in seinem sogenannten Buch ‚Die Angst vor der Freiheit‘ nannte.

Fromm schrieb dieses Buch als Reaktion auf den Nationalsozialismus in Deutschland und er gelangt in ihm zu dem Schluss, dass der Nationalsozialismus den Deutschen von Hitler nicht durch List, Tücke oder Terror aufoktroyiert, sondern von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung aktiv erwünscht und ohne Widerstand hingenommen wurde. Ich glaube, dass es keine Übertreibung ist, wenn wir beide Kontexte – damals und heute – miteinander vergleichen und in einen Bezug zueinander stellen.

Europa scheint heute, im Jahr 2024, in erneut dieselbe Richtung zu gehen: Wir akzeptieren, dass die italienische Regierung die Medien der Zensur unterwirft, sobald diese sich regierungskritisch äußern. Wir akzeptieren, dass die AfD den Klimawandel leugnet und eine das Klima schützende Politik daher ablehnt. Wir akzeptieren, ja wir fordern indirekt, dass der Migrant zum Sündenbock für Erschwernisse des Alltags gemacht wird, dass er zu einer homogenen und kriminellen Kategorie wird: Würden wir nur ein bisschen darüber nachdenken, kämen wir zu dem Schluss, dass diese Homogenität jeder Logik entbehrt, denn unter den Migranten gibt es gute und schlechte Menschen, ebenso wie unter den Politikern, den Arbeitern und so weiter.

All das, was diese rechtsextremen Parteien anbieten, sind einfache (und partielle) Antworten auf komplexe Probleme unserer Gegenwart. Probleme, die aus einem immer wiederkehrenden menschlichen Zustand entstanden sind,  einem Zustand, in dem das Leben schwieriger und die Krise stärker wird. Die Krise ist ein Produkt des Menschen, weil der Mensch unvollkommen und inkohärent ist und deshalb nur unvollkommene Zustände hervorbringen kann.

Wenn wir nicht wollen, dass sich die Geschichte wiederholt,  müssen wir als Einzelne und als Gemeinschaft der gegenwärtig schwierigen Lage ins Auge sehen, sie analysieren und dabei berücksichtigen, dass es unzählige Faktoren gibt, die zu ihr geführt haben, und dass es sehr naiv ist, die Schuld nur den Migranten oder der derzeitigen Regierung zuzuschieben. Diese Analyse erfordert Verantwortung und Bewusstsein, Eigenschaften, die nur frei denkende Menschen haben können. Aber Freiheit kostet viel: Sie kostet Anstrengung, Ehrlichkeit, Mut, Verantwortung. Es scheint so, als gäbe es in Europa immer weniger Menschen, die bereit sind, diesen Preis zu zahlen.

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