Wenn Roberto Saviano die Phrase „Wir gehören einander“ verwendet, um über Liebe innerhalb krimineller Organisationen zu sprechen, ist das kein Zufall: Das Verb gehören hat mit Liebe nichts zu tun. Denn Liebe bedeutet Freiheit; es bedeutet, dem anderen zu erlauben, sich langsam zu entfalten und, wie eine Flüssigkeit, die sich perfekt an ihren Behälter anpasst, die Form anzunehmen, die für ihn bestimmt ist, damit wahre Liebe Wirklichkeit werden kann.
Die Journalistin Tonia Mastrobuoni bringt dieses Bild ein, als sie im Kühlhaus in Berlin das Gespräch mit dem Autor beginnt, eine unglaublich schwierige Aufgabe: nämlich eine Welt auf Deutsch zu erklären, die schon auf Italienisch kaum vermittelbar ist. Ehrenkodizes, spezifische Sprache, Regeln, die in Blut geschrieben sind. Kontrolle über Körper. Ein Mann der Ehre kann nicht werden, wer geschiedene Eltern hat, seine Frau betrügt, Prostituierte besucht, Glücksspiele spielt, Drogen konsumiert, homosexuell ist, oder einfach nur liebt und sein Leben lebt.
Das Kino hat den Mafiaboss immer als einen freien Mann dargestellt, selbstbewusst, in der Lage, dank seines Geldes und seiner Macht selbstständig Entscheidungen zu treffen. Als würde er seine Freiheit erst dann verlieren, wenn er ins Gefängnis kommt. In Wahrheit aber existiert Freiheit im Leben eines Mafiosos überhaupt nicht. Denn sein Leben, und das seiner Familie, existiert nicht wirklich: Es wird völlig unterdrückt, um der Macht zu dienen, es ist nur ein kleines Rädchen im Getriebe. Seine Entscheidungen sind von strengen Regeln umgeben, und der Raum innerhalb dieses Käfigs ist eng und erdrückend.
Deshalb darf die Tochter des Mafiosos Condello, genannt „der Supreme“, den Mann, den sie liebt, nicht heiraten, denn Liebe ist in der Mafia nicht erlaubt. Deshalb musste Maria Concetta Cacciola, als ihr Mann wegen Mafia-Verbindungen ins Gefängnis kam, verschwinden, sie wurde gezwungen, Salzsäure zu trinken, weil sie einen anderen Mann liebte. Zu lieben bedeutet, sich hinzugeben, und sich hinzugeben bedeutet, sich der Macht zu entziehen. Es bedeutet zu leben. Doch für die Mafia ist Liebe nutzlos: Das Einzige, was zählt, ist, andere zu zerstören, bevor man selbst zerstört wird, denn in den Augen eines Mafiosos gibt es nur Schwarz und Weiß.
Und wenn wir das Böse als bloße Zuschauer betrachten, durch die Geschichten, die Saviano uns seit Jahrzehnten erzählt, dann sind auch die Protagonisten der Mafia nur Zuschauer ihres eigenen Lebens, ohne es jemals wirklich zu leben. In der Mafia gibt es keine Freiheit. Es gibt kein Individuum. Und von Liebe, ganz zu schweigen.
Doch Saviano erinnert uns daran, dass das Böse nicht so weit entfernt ist, wie wir denken. Wir finden es in den kapitalistischen Strukturen, in denen wir bis zum Hals stecken, Strukturen, die aus genau demselben Grund so mächtig und unantastbar sind wie die Mafia: Sie folgen strengen Regeln und festen Codes, die Emotionen und individuelle Unterschiede ignorieren und einzig der Macht dienen.
Wenn wir uns also umsehen, erkennen wir, dass es nicht ausreicht, Mafiosi vor Gericht zu bringen, um die Mafia-Mentalität auszurotten. Denn sie ist tief in unseren Institutionen, unseren Regierungen, unseren Häusern und unseren Arbeitsplätzen verwurzelt.
Hier müssen wir ansetzen, um Dinge zu verändern: Nicht das Böse als passive Zuschauer betrachten, als wäre es eine ferne Welt, die uns nicht betrifft, sondern es in unserer eigenen Welt erkennen und ihm mit kritischem Denken und Mut entgegentreten.
Denn kriminelle Organisationen sind nur der extremste und brutalste Ausdruck eines Kapitalismus, der längst unser Denken durchdrungen hat, lange bevor wir es überhaupt bemerkt haben.