Mit einem wohlüberlegten und übertrieben betonten Freut-mich-dich-wieder-zu-sehen!, begegnen sich zwei deutsche Freunde nach langer Zeit wieder. Beide haben denselben Gesichtsausdruck und verhalten sich genau so, wie sie sich verhalten sollten. Es ist Sommer, die Vögel zwitschern, und beide haben eine höfliche, aber ebenso künstliche Miene wie eine Frau, die für eine Zahnpasta-Werbung posiert. Kein Wort oder keine Geste ist fehl am Platz.
Ich, eine unsichtbare Zuschauerin, sitze in einer Ecke und rauche eine Zigarette. Dabei spüre ich in mir einen sehr unangenehmen Widerspruch: Es ist, als wäre ich in zwei Teile gespalten: ein Teil von mir findet alles perfekt, aber ein anderer Teil spürt, dass alles zu perfekt ist. Es fehlt etwas, aber ich weiß nicht, was.
Dieses Gefühl hatte ich lange Zeit, nachdem ich nach Berlin gezogen war. Erst viele Jahre später verstand ich, wo das „Problem“ lag, konnte es in Worte fassen und mich so von einer Last befreien.
Einmal erzählte mir eine deutsche Bekannte, dass ihre Eltern sie auf die eine oder andere Weise dazu gedrängt hatten, von zu Hause auszuziehen. Sie war noch sehr jung, nicht einmal zwanzig, als sie es tun musste, und kurz nach ihrem Auszug war ihr Zimmer bereits in ein Wohnzimmer umgewandelt worden. Übersetzung: Sie war nicht mehr willkommen. Ich lächelte mit einer Prise Melancholie und dachte an meine Mutter, die noch heute mit Freude mein Bett macht, oder an meine Großmutter, die es kaum erwarten konnte, mich wie eine Weihnachtsgans zu mästen, wohl wissend, dass ich irgendwann nach Hause zurückkehren würde.
Ihr werdet jetzt sagen: „Ja, aber diese Einstellung ist ein zweischneidiges Schwert und schafft eine Gesellschaft von Nesthockern (bamboccioni) !“ Da stimme ich zu. Aber zu wissen, dass da jemand ist, der dich liebt und der, egal was passiert, bereit ist, auf dich zu warten (in vernünftigen Grenzen), gibt dir Kraft und Sicherheit. Es sei denn, du hast einen zu niedrigen IQ. Und wie bei allem muss auch Liebe dosiert werden. Aber das ist eine andere Geschichte.
Also, die deutsche Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die die sozialen Regeln und Funktionen rücksichtslos über die direkte Empathie stellt. Deshalb hat hier so ziemlich alles immer nahezu perfekt funktioniert. Zumindest bis vor Kurzem (aber das ist wieder eine andere Geschichte).
Die Deutschen neigen dazu, implizite Verhaltensregeln zu befolgen, die das Zusammenleben reibungsloser und effizienter machen, aber eben auch schrecklich langweilig. Zum Beispiel: Wenn ein Deutscher in einem Restaurant sitzt und die Speisekarte in die Hand nimmt, ist es sehr selten, dass er ein Gericht möchte, das nicht auf der Karte steht. Ich habe den Eindruck, dass das daran liegt, dass ein Deutscher die Speisekarte nicht als Vorschlag betrachtet, sondern als eine bereits optimierte Auswahl für das reibungslose Funktionieren eines bestimmten Systems – vielleicht, weil er auch sein eigenes Leben als System wahrnimmt. Etwas anderes zu bestellen, würde bedeuten, die bestehende Ordnung zu stören, den Koch und den Kellner aufzuhalten und das gesamte System zu verlangsamen.
Diese Erkenntnis kam mir in den ersten Jahren, als ich in Berlin lebte und in einem Restaurant in der Innenstadt arbeitete. Ich bediente einen Tisch mit Italienern, genauer gesagt Neapolitanern. Während einer von ihnen sich nicht entscheiden konnte, welche Pizza er nehmen sollte, machten die anderen Witze, sowohl explizit als auch implizit, die uns alle zum Lachen brachten – und die mich dadurch in meiner Arbeit aufhielten, da das Restaurant voll war und die Tische schnell wieder frei werden mussten, damit das Ganze funktionierte. Am Ende, als er keine Pizza fand, die ihn überzeugte, begann der Typ, sich selbst eine auszudenken, indem er Zutaten verschiedener Pizzen kombinierte (oder er tat es absichtlich und wollte einfach nur länger mit mir reden – aber das werden wir nie erfahren). Die Moral der Geschichte: Ich verlor etwa fünfzehn Minuten mit diesem Tisch zwischen Lachen, Sonderwünschen und Anspielungen. Danach brauchte ich weitere zehn Minuten, um dem Pizzabäcker zu erklären, wie diese verdammte Pizza gemacht werden sollte (der, deutscher denn je, allein bei der Vorstellung, vier Basilikumblätter anstelle von drei hinzuzufügen, in eine Krise geriet).
In diesem Moment dachte ich: Oh-mein-Gott-wenn-alle-so-wären-was-für-ein-Chaos-wäre-das-hier!, und fand damit vielleicht eine Antwort darauf, warum Deutschland langweilig, aber effizienter als Italien ist. Es ist keine Frage der Intelligenz, im Gegenteil: Weil die deutsche Denkweise wie ein ewiger Autopilot funktioniert, gibt es hier weniger Kreativität, die ja ein Zeichen von Intelligenz ist. Jedes Verhalten passt perfekt in vordefinierte Schubladen, sodass alles reibungslos läuft.
Dieser Autopilot funktioniert hervorragend im Arbeitsumfeld. Ich werde diesem Land für immer dankbar sein, dass es mir Organisation, Ordnung und Präzision beigebracht hat. Aber wenn man merkt, dass diese Mentalität so tief in den Menschen verwurzelt ist, dass sie auch in ihre zwischenmenschlichen Beziehungen übertragen wird, entsteht ein Problem. Denn Emotionen der Disziplin zu opfern, wenn es um menschliche Beziehungen geht, ist, als würde man eine falsche Halskette tragen, die nur aus der Ferne glänzt. Kommt man ihr zu nahe, besonders wenn man aus einer warmen und einladenden Heimat wie meiner kommt, spürt man einen Kloß im Hals.
Ein ähnliches Szenario wurde meisterhaft von Thomas Mann in seinem Roman Buddenbrooks beschrieben. Darin erzählt er von einer deutschen Familie, die von ihrem öffentlichen Image und dem Erhalt ihres sozialen Status besessen ist, davon, sich genau so zu verhalten, wie es sich gehört. Diese Besessenheit führte unweigerlich dazu, dass Emotionen und Wünsche unterdrückt wurden, die ihrem Ruf in der Gesellschaft schaden könnten. Doch am Ende schadete diese Unterdrückung mehr ihrem Glück als ihrem sozialen Status. Die Unfähigkeit des jüngsten Sohnes, eines hochsensiblen Künstlers, sich an die starren Regeln seiner Familie anzupassen, führte dazu, dass er krank wurde und starb.
Die Lebenslektion aus dieser Geschichte ist, dass die Unfähigkeit, Emotionen voll auszudrücken, eine scheinbar stabile, aber in Wahrheit äußerst fragile und unglückliche Gesellschaft schafft. Viele Deutsche erscheinen effizient und diszipliniert, aber am Ende scheinen sie unfähig zu sein, tiefe und authentische Bindungen zu knüpfen.
Dass ich hier ein kulturelles Phänomen beobachte, scheint mir offensichtlich und muss nicht betont werden: Ich habe außergewöhnliche, hochintelligente und sogar empathische Deutsche getroffen (unglaublich!). Aber nach zehn Jahren in Deutschland muss ich zugeben, dass sie wirklich selten sind, und das ist nun mal bedauerlich.
Nach vielen Jahren habe ich es endlich geschafft, meine Irritation zu entschlüsseln: das Beobachten eines scheinbar altruistischen, aber distanzierten Verhaltens, einer Freundlichkeit, die mehr eine soziale Norm als echtes emotionales Engagement ist.
Der Mythos von Deutschland als Paradies war eben nur ein Mythos: aber niemand hatte je den Mut, es zu sagen.