Der sardische Auswanderer, der nach Hause zurückkehrte und zweimal starb

Ein Aufbruch bringt dich weit weg. Aber manchmal misst sich die wahre Entfernung erst, wenn du versuchst, dorthin zurückzukehren, wo du aufgebrochen bist.

Du kommst zurück und sprichst mit einer anderen Grammatik, mit einem anderen Blick. Es ist immer noch derselbe Körper, dieselben Augen, und doch bist du verändert.

Aus den kleinen Dörfern im Herzen Sardiniens wanderten früher viele Menschen aus. Und das war nicht immer so einfach, wie man es sich vorstellte.
Es gibt eine sehr kraftvolle Geschichte, die genau dieses Thema berührt.
Sie ist im kollektiven Gedächtnis meines Dorfes verloren gegangen, aber sie verdient es, erzählt zu werden.

Ein Mann mittleren Alters, offenbar sehr allein, wohnte in der Via Garibaldi in Lodè. Er war in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nach Deutschland ausgewandert.


Deutschland ist ein trügerisches Land. Man kam mit der Hoffnung an, etwas Besseres zu finden ohne genau zu wissen, was das eigentlich sein sollte. Oft fand man nur Geld. Aber Geld füllt nicht die Leere, die durch kulturelle Distanz entsteht. Und wer nie gelernt hat, auszudrücken, was in ihm steckt, hatte nur eine Möglichkeit zu überleben:
sich in der Fremde eine kleine Heimat aufzubauen, abgeschottet in engen Gemeinschaften, ohne sich je wirklich zu integrieren (trotz allem Gerede, wahre Integration ist eine sehr seltene Sache).

Es war sehr schwer, die eigene Heimat zu verlassen. Ein warmes, aber trostloses Land, irgendwo zwischen Barbagia und Baronia.
Ein Land, das, wie Rosa Balistreri über ihre Heimat Sizilien singt, dich nicht festhält, wenn du gehen willst, und dir nichts gibt, um zurückzukehren. Gerade diese Gleichgültigkeit schafft eine giftige Bindung.

Wie gesagt: Dieser Mann kehrte nach Lodè zurück, nach langer Zeit.
Vielleicht hatte er sich sehr darauf gefreut. Vielleicht glaubte er, das wiederzufinden, was er einst verlassen hatte: einen Ort, an dem er sich angenommen fühlte, wo man ihn verstand, ohne dass er sich anstrengen musste, wo er das Leben dort weitermachen konnte, wo es stehen geblieben war.

Aber während das Dorf sich in all den Jahren nur oberflächlich verändert hatte, war er wirklich ein anderer geworden. Und vielleicht wusste er das nicht.

In kleinen Dörfern wie meinem bleibt, auch wenn die Jahre vergehen und die Welt sich verändert, immer ein stiller Widerstand gegen das Anderssein. Ein stiller Unmut gegen die, die gegangen sind und den Mut hatten, die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Dieser Mann hielt die schlimmste Einsamkeit nicht aus:
die, keinen Platz mehr zu haben an dem Ort, der für ihn immer die einzige Sicherheit gewesen war. An diesem Ort, den er Heimat nannte, fühlte er sich fremd.

Also ging er eines Tages in das Haus des Herrn, die Kirche Sant’Antonio da Padova und, während der Priester wie immer die Messe las, stieg er mit festen Schritten auf den Altarcund stieß das drei Meter hohe Kruzifix um.
Es krachte mit einem gewaltigen Lärm zu Boden, der durch das Kirchenschiff hallte, endlos lang.
Dieser Christus, mit dem Gesicht vor Schmerz verzogen und der blutenden Seite lag da, wischen den fassungslosen Blicken der Gläubigen, und schien nicht nur für sich zu leiden, sondern auch für ihn.

Kurz danach nahm sich der Mann das Leben.
Man fand ihn tot in seinem Haus in der Via Garibaldi. Da die Erwachsenen nicht hineinkamen, weil alles verschlossen war, ließen sie einen Jungen hineinklettern. Ein Junge, der bis heute mit dem Bild leben muss, das sich ihm damals bot: Ein Mann, der an einem Strick hing, mit aufgerissenen Zähnen und bläulichem Gesicht.

Die traurige Wahrheit ist: Wenn man einmal gegangen ist, kann man oft nicht wirklich zurückkehren. Zurückzukommen reicht nicht, um wieder aufgenommen zu werden. Und dieselbe Sprache zu sprechen bedeutet nicht, dass man sich versteht.

Oft reicht schon eine kleine Veränderung, und man wird abgestoßen wie ein Fremdkörper. Denn in solchen kleinen Welten verzeiht man vieles,
aber nicht, dass man sich verändert hat.

Denn Veränderung hat hier immer das Gesicht eines Verräters.

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