Bevor es Apotheken und Desinfektionsmittel gab, waren die einzigen verfügbaren Heilmittel Gebete gegen den bösen Blick, Kräuter, Speichel.. und Urin.
Ein Mann aus Lodè, ein Dorf auf Sardinien, erzählte mir neulich Abend, dass er als Kind, weil er körperlich arbeitete und sich oft verletzte, jedes Mal, wenn er sich schnitt, einfach auf die Wunde pinkelte, weil er nichts anderes hatte, um sie zu reinigen.
Das machten damals viele: In Ermangelung eines Erste-Hilfe-Kastens glaubte man, dass nichts steriler sei als Urin, um Schmutz aus einer Wunde zu waschen, die man später mit Kräuterabkochungen oder manchmal auch mit Magie behandelte.
Offenbar war diese Praxis schon in der Antike bekannt, in Ägypten, Griechenland und Rom.
Die alten Römer verwendeten Urin nicht nur zur Behandlung bestimmter Krankheiten, sondern auch zum Waschen von Kleidung: Da fast niemand fließendes Wasser zu Hause hatte, gab es Wäschereiarbeiter, die Fullones genannt wurden und große Mengen Urin aus öffentlichen Latrinen sammelten. (Schließlich wurde sogar eine „Urinsteuer“ eingeführt, die sie bei jeder Entnahme zahlen mussten.)
Die Wissenschaft weist jedoch darauf hin, dass Urin keine desinfizierenden Eigenschaften hat: Er ist nicht giftig, aber auch nicht steril. Es ist einfach Wasser, das mit den Abfallstoffen des Körpers vermischt ist.
Ob das Pinkeln auf eine Wunde also wirklich half oder nicht, spielt keine große Rolle. Wichtiger ist, dass die langsame Lebensweise und der Mangel an schnellen Heilmitteln unsere Vorfahren dazu zwangen, genau hinzuschauen und zu verstehen.
In einer Welt ohne Ablenkung bemerkte jemand, dass Urin etwas Ammoniak und Harnstoff enthält, Stoffe, die tatsächlich Bakterien abtöten können, aber nur in hoher Konzentration (im Urin sind sie allerdings viel zu schwach vorhanden.)
Diese Praxis zeigt auch, wie anders man früher über den Körper dachte: Der Körper war kein Objekt, das man optimieren oder beurteilen musste, sondern ein lebendiger Teil der Welt.
Heute, da wir alles in Daten, Analysen und Zahlen übersetzen, haben wir vielleicht das Gefühl verloren, mit unserem eigenen Körper im Einklang zu sein.
Natürlich hat uns die Wissenschaft beigebracht, Krankheiten besser zu heilen, aber sie hat uns auch gelehrt, dem Körper zu misstrauen.
Vielleicht müssen wir nicht mehr auf unsere Wunden pinkeln, aber uns daran zu erinnern, dass der Körper manchmal mehr weiß, als wir glauben.
Denn in diesen alten Gesten lag etwas Kostbares: Vertrauen in den Körper, in die Erde, in die Zeit.