Der wahre Name des Fuchses in Sardinien wird niemals ausgesprochen, weil er nicht bekannt ist. Stattdessen werden Spitznamen und Umschreibungen verwendet, Wörter, die wie Namen erscheinen, aber genau das Gegenteil bewirken: Sie helfen, ihn nicht direkt zu benennen.
Marzàne, Macciòni, Giommarìa, Zusèppe rùbiu, Cùdda bèstia, Sa bòna ùcca, Fraìssu, wie so oft ist Sprache nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein Filter, durch den der Mensch die Welt wahrnimmt.
In Sardinien wird der Fuchs mit einer Mischung aus Wut, Respekt und Angst betrachtet. Es gibt sogar den Glauben, dass das Aussprechen seines wahren Namens seine Präsenz oder seine Macht heraufbeschwören könnte.
In Lodè wird er Mariàne genannt. Die Konkurrenz zwischen Mensch und Tier war so groß, dass eine spezielle Falle entwickelt wurde, um ihn zu fangen: sa matzonera. In manchen Dörfern wird der Fuchs Mazzòni genannt, vielleicht in Anspielung auf seinen dichten, buschigen Schwanz (màzzu = Bündel).
Einmal stellte mein Großvater sa matzonera perfekt auf. Am nächsten Morgen stellte er fest, dass er einen Fuchs gefangen hatte. Doch um der Gefangenschaft zu entkommen, biss sich der Fuchs selbst ein Bein ab und entkam. Ungläubig fand mein Großvater nur das blutige Glied, das Tier war fort.
Für mich ist diese Geschichte eine unglaubliche Metapher und führt unweigerlich zu einer Reflexion über Freiheit und Rebellion.
Der Hass der Sarden auf den Fuchs, der mit praktischen Gründen gerechtfertigt wird, er tötete Schafe und Hühner, verbirgt meiner Meinung nach eine viel tiefere, symbolische Bedeutung: Der Fuchs steht für List, Freiheit und die Fähigkeit, sich auferlegten Regeln zu entziehen.
Menschen haben schon immer misstrauisch auf diejenigen geschaut, die sich ihrer Kontrolle entziehen und sich nicht unterwerfen lassen. Und anstatt sich mit einem Klügeren auseinanderzusetzen, ziehen sie es vor, ihn zu eliminieren.
In Sardinien zeigt der Fuchs bei der Jagd eine solche Intelligenz, dass er die Jäger regelrecht zum Narren hält. Er läuft im Kreis, verwirrt die Hunde, und diese jagen ihn endlos weiter, in der festen Überzeugung, es sei ein Wildschwein. Wenn die Jäger schließlich den Trick durchschauen, rufen sie erstaunt: „Los iuket Mariàne“ -„Wir wurden vom Fuchs ausgetrickst.“
Dass der Fuchs die Sarden oft überlistet hat, ließ ihren Hass auf ihn wachsen. Anstatt sich mit seiner List zu messen, wurde er verfolgt.
Dasselbe passiert im täglichen Leben: Wer sich der Kontrolle entzieht und sich nicht unterwirft, wird misstrauisch beäugt und letztendlich verfolgt – zensierte Intellektuelle und Sendungen, ermordete oder diskreditierte Journalisten, ehrliche Politiker (wenn auch wenige), die geopfert wurden, nur weil sie ehrlich waren, eine wahre Rebellion in der heutigen Zeit.
Doch wenn das abgenagte Bein des Fuchses für Rebellion steht und der dreibeinige, hinkende Fuchs ein Symbol der Freiheit ist, stellt sich die Frage: Wie viel sind wir bereit zu opfern, um nicht gefangen zu werden?
Ein passendes mythologisches Beispiel ist die Geschichte des Fuchses von Teumessos. In der griechischen Mythologie war dieser Fuchs unaufhaltbar, doch eines Tages wurde er von einem „magischen“ Hund namens Laelaps gejagt, der niemals eine Beute verfehlte. Ein Paradoxon: Wenn der Fuchs nicht gefangen werden konnte und der Hund nie versagte – was sollte geschehen?
Um diesen endlosen Kreislauf zu beenden, verwandelte Zeus beide in Stein.
Die universelle Wahrheit dieser Geschichte ist: Der Kampf zwischen Unterdrückern und Rebellen endet oft in einer Sackgasse und zerstört beide.
Doch auch wenn die Macht die Rebellen versteinert, wird der Drang nach Freiheit immer wieder auftauchen, wie ein endloser Zyklus.